Neulich im
Supermarkt
Genießen – ok, ich gebe zu, im vergangenen Jahr stand das nicht sehr weit oben auf meiner Liste. Dankbarkeit schon eher. Ob das nicht das gleiche ist? Nein! Ich war unglaublich dankbar, dass wir alle gesund geblieben sind, nicht in finanzielle Nöte kamen und unser Haus mit Garten hatten. Genießen konnte ich es in den letzten 12 Monaten allerdings nicht oft. Denn ich war gestresst – manchmal sogar unfassbar gestresst!
So auch letztens im Supermarkt. Es ließ sich nicht vermeiden, dass ich mit allen drei Kindern zum Einkaufen ging. Die Große, Gott sei Dank schon so groß, dass sie nicht andauernd davon rennt und auch ein paar „Hol mal bitte….“ Aufträge ausführen kann, aber dezent beleidigt, wenn nicht das in den Wagen wandert, was sie sich wünscht. Die Mittlere, ein echtes Anfängerkind, jedoch ohne jeglichen Orientierungssinn, geht gerne mal verloren und will am liebsten nur den Weg zum Spielautomaten und anschließend zum Ausgang bewältigen. Und der Junior… naja… ein 1,5-jähriger eben. Mal kurz nicht hingesehen und den Einkaufswagen zu nah am Regal geparkt und schon klirrt es. An der Kasse finde ich dann mir völlig unbekannte Dinge in meinem Wagen wieder, nachdem er zuvor schon in der Obstabteilung eine Packung Erdbeeren zu Brei zermatscht und weiter hinten ein Glas Bolognesesoße hat zerschmettern lassen. Die Mittlere war mal wieder irgendwo falsch abgebogen und nun verschwunden und bei der Großen stieß ich auf absolutes Unverständnis, weil ich die Cornflakes gefüllt mit flüssigem Nougat nicht schon wieder kaufen wollte.
Während ich also in jedem Gang den Namen meines Mittelkindes rief, die Große motzend und maulen hinter mir her trottete und ich gerade meine Hände wieder von der Bolognesesoße befreit hatte, merkte ich, wie der Stresspegel stieg. Am Milchregal erspähte ich dann noch die redselige Nachbarin, der ich mit einem schnellen Haken versuchte zu entkommen. Ich merkte, wie mir immer wärmer wurde, ich mich zügeln musste, um meiner Großen keine Ansage zu machen und im Hinterkopf immer wieder die Frage „Wo ist nur mein Mittelkind?“
Endlich an der Kasse angekommen, sah ich sie (wo auch sonst) am Spielautomaten sitzen, sich keiner Schuld bewusst. „Lieber nicht stören“, dachte ich mir. „Ich ruf sie erst, wenn ich durch die Kasse durch bin.“ Ich stellte mich an und begann das Kassenband mit mir bekannten und auch ein paar unbekannten Sachen zu befüllen. Stinkig knallte die Große alles aufs Band (Mein Puls begann wieder zu steigen…) und der Junior grapschte zielsicher nach allem was aus Glas war und wollte helfen. Ein Stück weiter vorne rief dann plötzlich das Mittelkind nach mir einmal quer durch den Laden und die Große zettelte eine Diskussion an. Vermutlich wurde ihr klar, dass ihre letzte Chance auf die geliebten Cornflakes bald vorbei war. Während ich also „Jaaaaa, hiiiieeeer!“ in die eine und „Lass uns das bitte im Auto besprechen!“ in die andere Richtung zischte, räumte der Junior voller Freude das Regal mit den Süßigkeiten aus. Ich war kurz davor auszuflippen!
Dann sprach mich ein älteres Ehepaar von hinten an. „Ihr kommt mir gerade recht!“, wollte ich schon sagen, als er meinte: „Ach schau mal Angie, wie bei uns damals. Uns ging es auch immer so. Wissen Sie, wir haben auch drei Kinder. Alles Mädchen. Da war immer was los! …. Naja, das ist jetzt auch schon über 40 Jahre her. Inzwischen sind sie alle außer Haus. Die zwei Großen leben sogar im Norden, nur die Kleine wohnt noch hier. Aber die hat keine Kinder, für die gibt’s nur ihre Arbeit. War das nicht eine schöne Zeit, Angie?“ Seine Frau nickt und lächelt mich an. „Sie müssen das genießen, junge Dame“, sagt er weiter. „Die Zeit ist so schnell vorbei. Jetzt ist es ganz still bei uns im Haus, dabei war es mal so voller Leben und Lachen.“ Dann sagt sie an ihren Mann gewandt: „Das war eigentlich die schönste Zeit in unserem Leben, oder?“ Er nickt.
Vor ein paar Minuten war ich noch kurz davor den beiden ins Gesicht zu springen, da ich mir sicher war zu wissen, was sie mir sagen wollten. Und jetzt? Wie sie da standen… und sich an meinen Kindern bzw. an meiner Situation erfreuten, die für mich bis gerade eben noch unerträglich erschien.
Sie hatten Recht! „Nimm mal ein bisschen Dampf raus“, ermahnte ich mich in Gedanken selbst. Denn letzten Endes ist es doch immer unsere Sicht auf die Dinge, die uns unsere Realität erschaffen lässt. Kurzer, aber sehr nachhaltiger Reminder an mich selbst, meine Kinder wieder mehr zu genießen. Denn, und da stimmt mir wohl jede Mutter zu, sie sind das wertvollste, das ich habe.